«Luscht uf Lämpe» – Die Kunst wertschätzend zu streiten
Kennen Sie unsere drei Lieblings-W? Nein, nicht “World Wide Web”. Unsere drei Lieblings-W sind “Wahrnehmung – Wirkung – Wunsch”. Angelehnt an die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg bilden sie eine gute Basis für eine konstruktive Auseinandersetzung.
Bereits früh lernen wir, wir sollen beherzt für unsere Meinung eintreten und immer ein klares Urteil fällen. Oder aber wir sollen unsere Meinung nur durch die Blume sagen, um die andere Person nicht zu verletzen oder nicht zu fordernd zu klingen. In Konflikten bringen uns beide Strategien nicht weiter. Wir verlieren uns in gegenseitigen verletzenden Vorwürfen «Wie kannst du nur…! Du bist so…!». Oder wir verpassen die Chance, dem Gegenüber unsere Bedürfnisse mitzuteilen – und landen im stillen Vorwurf-Lamento, dass unsere Wünsche uns nicht von den Augen abgelesen werden.
Wertschätzendes Streiten
Die Taktik des wertschätzenden Streitens geht einen anderen Weg: Man versucht, Vorwürfe aus der Kommunikation rauszuhalten und klar zu sagen, was man beobachtet, welche (negative) Wirkung das auf einen hat und was man sich stattdessen wünscht. Wie bei allem, was wir neu lernen, wirkt dieses Vorgehen am Anfang etwas künstlich und gestelzt. Mit etwas Übung klappt es jedoch ziemlich gut und trägt zu einem konstruktiven Dialog bei.
Ein Beispiel, alte Taktik: Ihre Mitarbeiterin ist wiederholt zu spät in Meetings erschienen. Sie haben Sie bisher nicht darauf angesprochen. Als es am Mittwochmorgen wieder passiert, schnauzen Sie sie während des Meetings an: «Immer kommen Sie zu spät in unsere Meetings! Sie nehmen Ihre Arbeit überhaupt nicht ernst!» Ihre Mitarbeiterin: «Stimmt doch gar nicht: Gestern war ich pünktlich! Und was hat das mit meiner Arbeit zu tun? Alle wissen, dass etc. etc. …»
Gleiches Beispiel, neue Taktik: Ihre Mitarbeiterin ist wiederholt zu spät in Meetings erschienen. Sie haben Sie bisher nicht darauf angesprochen. Als es am Mittwochmorgen wieder passiert, sprechen Sie sie nach dem Meeting an: «Sie sind in den letzten zwei Wochen dreimal zu spät zum Meeting erschienen.» (Wahrnehmung). «Dies macht mich wütend, denn es wirkt auf mich, als hätte das Meeting keine Relevanz für Sie.» (Wirkung). «Ich wünsche mir, dass Sie künftig pünktlich zu den Meetings erscheinen. Ist das für Sie möglich, oder gibt es Gründe für das zu spät kommen?» (Wunsch). Ihre Mitarbeiterin: «Danke, dass Sie es ansprechen: Es ist momentan tatsächlich schwierig für mich etc. etc. …»
Ein solches wertfreies und konkretes Feedback erreicht sein Ziel, weil Sie ganz nah bei Ihrer persönlichen, konkreten Wahrnehmung bleiben und von Ihren Gefühlen und Bedürfnissen sprechen. Und der anderen Person die Möglichkeit geben, genauer über die Situation nachzudenken und ihre Sicht darzulegen.
Und nochmals Schritt für Schritt:
Wahrnehmung
Sie äussern zunächst Ihre Wahrnehmung der Situation, die Sie stört, ohne diese zu bewerten: Was habe ich beobachtet, gehört oder gesehen? Diese Wahrnehmung sollte auf objektiven Fakten beruhen und nicht auf persönlichem Empfinden. Es kann hilfreich sein, an dieser Stelle nachzufragen, ob die Faktenlage vom Gegenüber genauso gesehen wird. Dadurch können viele Missverständnisse und deren Auswirkungen vermieden werden. Die Wörter «immer», «nie», «alle», «niemand» und «man» streichen Sie dabei aus Ihrem Wortschatz. («Du hast gestern in der Sitzung die Augen verdreht, als ich mein Projekt vorgestellt habe.»)
Wirkung
Nach dieser Wahrnehmung schildern Sie die Wirkung davon auf Sie (oder auf andere, z.B. das Team). Welche Gedanken und Gefühle löst das in Ihnen aus? Sind Sie wütend, irritiert, verletzt oder verzweifelt? Damit erhält Ihr Gegenüber die Möglichkeit, die Auswirkungen seines oder ihres Verhaltens auf andere zu erkennen, egal ob diese beabsichtigt oder unbeabsichtigt waren. («Das hat mich verletzt, denn mir ist deine Meinung wichtig.»)
Wunsch
Abschließend äussern Sie einen Wunsch in Bezug auf das künftige Verhalten. Wenn Sie mitteilen, wie Sie «es» gerne hätten steigern Sie die Chance, «es» auch zu erreichen. Sie dürfen auch Unterstützung anbieten. («Ich würde mir wünschen, dass du damit aufhörst und mir direkt sagst, wenn du mit etwas nicht einverstanden bist.» – Ihre Kollegin: «Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich die Augen verdrehe. Das würde mich auch nerven. Kannst du mich das nächste Mal bitte darauf hinweisen? Was dein Projekt angeht etc. etc. …».)
Natürlich ist dieses Vorgehen kein Allheilmittel für jeden Konflikt. Insbesondere wenn die Gefühle hochgehen, ist eine sachliche Auseinandersetzung schwierig. Aber man kann ja auch einfach mal nichts sagen. Um dann nach einer Pause wieder konstruktiv weiterzufahren. Probieren Sie’s aus. Es lohnt sich.
Aloha!
Nic Kleiber
Zum Weiterlesen, insbesondere zur Unterscheidung von Beobachtung und Bewertung und dem Erkennen von wahren Gefühlen und Wünschen:
Marshall B. Rosenberg. Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens.